Dienstag, 25. Juli 2017

Abschied vom Mühlviertel


Man kann mit dem Auto in die Innenstadt von Freistadt nur an einer Stelle fahren. Hinaus kommt man nur an einer festgelegten anderen Stelle .
Ich mache also erzwungenermaßen noch eine kleine Abschiedstour durch die Stadt.


es geht die Pfarrgasse hinauf,
dann über den Hauptplatz zum Böhmertor

vorbei am Goldenen Hirschen

hindurch durch das Böhmertor mit seinen Grundmauern
 aus der Stauferzeit...

...seinem Spitzbogentor, dem Rahmen für die Zugbrücke... 


...und 2 langen Mauerschlitzen für die Schwungbalken
der Zugbrücke

Durch das Böhmertor geht es hinaus aus der Stadt.

Und noch einmal tauche ich ein in das wunderschöne "Bucklige Land", das Mühlviertel. Über Bad Leonfelden will ich nach Passau fahren und zumindest eine Kirche der Mühlvierteler Gotikstrasse besichtigen.
Davon gibt es ungefähr 20. Eine besonders berühmte ich bereits mit etwa 10 Jahren zusammen mit meiner Tante besucht. Soweit ich mich entsinne, waren wir in Kefermarkt mit seinem gotischen Flügelaltar von 1497. Außerdem haben wir damals an den Rosenhofer Teichen in Sandl gebadet und uns dem Sonnenbaden hingegeben. Ganz tief drinnen erinnere ich reichlich Anstrengung. Wir mussten ja alles mit dem Bus oder zu Fuß bewältigen. Genächtigt haben wir bei den Verwandten auf dem Bauernhof. Da wo immer noch der große viereckige Esstisch steht.
Diese Erlebnisse haben sich tief in meine Erinnerung eingebrannt.




In Oberösterreich habe ich viele Birken gesehen, deren  Rinde meist sehr dunkel, fast schwarz war. Im Arbeitszimmer meines Vaters hing zeitlebens ein Bild mit Birken. Ich hielt es für eine Erinnerung an seine Zeiten in Russland. Vielleicht waren es aber die österreichischen Birken, die es ihm angetan hatten. Gesprochen hat er darüber nie, aber in mir besteht seit langem eine mir unerklärliche Zuneigung zu diesen Landschaften.




Das Bild meines Vaters zeigte etwas Ähnlichkeit mit diesem, welches im Hotel in Linz hängt.


Auf dem Weg von Freistadt nach Waldburg zeigt sich das bucklige Land noch einmal von seiner schönsten Seite.  Ich befinde mich mittlerweile auf einer Meereshöhe von 685 Metern, ganze 125 Meter höher als Freistadt. Auf der Fahrt hatte ich das Gefühl, mein Auto windet sich immer höher hinauf. Der Ausblick am Ortsrand von Waldburg ist einmalig, und gleich 2 Bänke laden zum Verweilen ein.


 Blick ins Mühlviertel

Lust zum Verweilen kommt auf

Hof hinter der Kirche

Mehrere verschiedene Baustile zeichnen das Äußere der "Pfarrkirche hl. Maria Magdalena" aus. Im Inneren sind 3 gotische Flügelaltäre, 2 Seitenaltäre und ein gotisches Chorgestühl von 1522 erhalten.











Über eine Art Hochebene Hochebene nähere ich mich langsam Bad Leonfelden, nutze aber jede Gelegenheit, um einen weiteren Stopp einzulegen.








In Bad Leonfelden lasse ich es mir noch einmal gut gehen. Es gibt Kaffee, Topfenstrudel und eine gehörige Portion Schlagobers dazu. Wenn schon, denn schon, lautet meine heutige Devise.
In seinen letzten Jahren hat mein Vater gerne hier Urlaub gemacht und Freistadt nur einen kurzen Besuch abgestattet. Warum das so war, habe ich nie erfahren.





Den letzen Halt lege ich an einem Feld mit ein paar vereinzelten Kornblumen ein. Dank der unzähligen Unkrautvernichter gehören sie zu den Pflanzen, die man nur noch mit viel Glück einmal entdecken kann. Die tolle Leuchtkraft dieser Blüten ist nicht zu übersehen.
















Und nun geht es wirklich in Richtung Passau und dann ab nach Hause - obwohl - ein wenig zu Hause fühle ich mich hier auch.


Erwartung und Enttäuschung in Budweis




Nachdem ich erfolgreich auf Spurensuche in Michnitz war, fahre ich schnurstracks in Richtung Budweis. Die Strasse hat sich seit 22 Jahren nicht wesentlich verändert. Sie ist weiter einspurig, stark befahren, und vor Budweis stecke ich in einem kilometerlangen Stau fest.
Doch dann ist es geschafft! Ich bin auch mit ausreichend tschechischen Kronen versorgt, um den Hunger der Parkuhren zu stillen. Ganz in der Nähe der Innenstadt werde ich fündig und mache mich erwartungsfroh auf meinen Weg.
Die Stadt heißt heute Ceske Budejovice und ist mit bald 100 000 Einwohnern die größte Stadt Südböhmens.
1265 vom böhmischen König Ottokar II. strategisch schachbrettartig geplant und auf einem trocken gelegten Sumpfgebiet angelegt, siedelten sich hier Oberösterreicher und Böhmerwäldler an. Ihre Geschichte war spannend und wechselhaft. Bis 1890 war die Bevölkerung überwiegend deutschsprachig, allerdings inselartig, umgeben von tschechisch sprechenden Bewohnern. 1918 entstand die Tschechoslowakei, und bis 1930 war die deutschsprachige Bevölkerung bis auf 14 Prozent geschrumpft.
1930 wurde die Stadt von der deutschen Wehrmacht besetzt und dem Protektorat Böhmen und Mähren zugeschlagen. Zigtausende Bewohner des Protektorates fielen bis zum Ende des 2.Weltkrieges dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer.
Die späteren Folgen für die zur deutschen Bevölkerung zählenden Menschen waren gravierend.
Etwa 2,9 Millionen wurden pauschal zu Volksfeinden erklärt und ausgebürgert. Nur 220 000 hielten aus.
Was blieb? Eigentlich nur Kummer und Leid auf allen Seiten. Wie bei jedem Krieg. Und entgegen aller Vernunft hört die Menschheit bis heute nicht auf, immer wieder Kriege zu entfachen.

Das traurige Kapitel schließe ich jetzt ab und widme mich dem frisch restaurierten Hauptplatz.
Er ist einer der größten europäischen quadratischen Plätze Europas und gesäumt von prächtigen Bürgerhäusern aus dem 13. bis 19. Jahrhundert. Die Seitenlängen des Platzes betragen 133 Meter!









Bewegt man sich innerhalb der fast durchgängigen Laubengänge, so kann man sich zum Essen niederlassen, etwas kaufen oder einfach nur staunend herumspazieren, ohne bei Regen naß zu werden.






Nur an wenigen Stellen gelingt ein nicht durch Autos oder Aufbauten verstellter Blick auf den Platz.














Der berühmte schwarze Turm mit seinen 9 Stockwerken aus dem 16. Jahrhundert ist leider nicht begehbar, da er gerade renoviert wird. Er diente als Glockenturm und Wachturm. Die Aufgabe des Wächters bestand vor allem darin, die Stadt von oben zu beobachten und Brände zu melden.
Er wurde von 3 italienischen Baumeistern geplant, was auch erklärt, dass er in seiner Bauart als freistehender Turm eigentlich hier eine Rarität, in Italien allerdings häufig zu finden ist.




An der Stelle, wo sich heute die Kirche St. Nikolas direkt neben dem Schwarzen Turm befindet, gab es bereits im 13. Jahrhundert ein Gotteshaus, das aber 1641 bei einem Großbrand vernichtet wurde. Die heutige barocke Kirche nimmt nun ihren Platz ein.




Ich besuche das Hotel Svon, das übersetzt die Glocke heiß.
Es ist heute ein Luxushotel, dessen Preise von ganz oben bis zu durchaus bezahlbarem Niveau schwanken. Je nachdem, wann man im Internet z.B. bei booking.com nachschaut.
Eigentlich wollte ich hier übernachten, aber das einmalige, extrem günstige Angebot habe ich nicht leider genommen und für rund 300€ pro Nacht war ich später nicht sonderlich motiviert.
Das Hotel hat für mich eine besondere Bedeutung.
Als ich 1995 mit meiner Tante die spontane Tour nach Budweis machte, ahnte ich nicht, zu welch Ausflügen sie mit ihren 81 Jahren  in der Lage war. Wir hatten nicht einmal eine Zahnbürste dabei, als sie spontan in ihrer Geburtsstadt den Wunsch äußerte, hier zu übernachten.
Ein kleines Hotel in Hauptplatznähe war schnell gefunden, und dann sind wir auf Erkundungstour gegangen. Wenn sie nicht mehr weiter konnte, hat sie geduldig auf einer Bank auf mich gewartet. Ich sollte unbedingt den Schwarzen Turm besteigen, und danach haben wir gemeinsam eine gemütliche Kutschfahrt durch die Gassen der Stadt gemacht.
Der Platz ist heute zwar super renoviert und strahlt aus allen Ecken. Aber er hat auch viel verloren. Stark von Autos befahren gibt es reichlich Lärm und Gestank. Man muss sich vorsehen, dass man nicht von einem Wagen erwischt wird. Schöne Fotos zu machen ist fast eine Kunst, da parkende oder fahrende Autos die Sicht versperren.
Da wo vor 20 Jahren Kutschen standen, prangen heute Parkuhren und die entsprechenden Wagen daneben. Die Polizei fährt im Kreis. Das Geschäft der Kontrollen scheint sich zu lohnen.

Das Hotel Svon gab es schon lange vor dem Krieg, und meine Tante gestand mir spontan, dass sie hier vor ihrer Verehelichung mit ihrem ersten Mann die einzigen schönen gemeinsamen Urlaubstage erlebte.
Für sie waren diese Stadt und gerade dieser Platz von großer Bedeutung für ihr Leben und offenbar auch ihre lebenslange Gefühlslage.
Dieser nicht recht geplante Ausflug hat Vieles aus ihrer Vergangenheit zum Leben erweckt.
1915 war ihre Mutter, d.h. meine Großmutter väterlicherseits, schwanger mit meinem Vater, und sie selbst war knapp 11 Monate alt, als dieser geboren wurde. In den Monaten vor seiner Geburt sei die Schwangere ständig mit dem Kinderwagen und ihrer kleinen Tochter auf den Marktplatz unterwegs gewesen, sodass sie schon auf ihre Lauferei angesprochen wurde. Und ihre Antwort fiel sicher sehr traurig aus. Sie hatte nicht mehr lange zu leben, weil sie Tuberkulose hatte und sie wußte das. 
Und mit ihrer Herumlauferei wollte sie ihrem ersten Kind -meiner Tante-  noch so viel Zuwendung wie möglich geben.
6 Wochen nach der Geburt meines Vaters verstarb sie dann auch, die Haushälterin wurde später zur zweiten Frau des jungen Witwers -meines Großßvaters-  und widmete sich mit Hingabe dem neugeborenen Knaben. Für dessen Schwester war dabei kein Platz vorgesehen. Sie wuchs überwiegend bei ihren Großeltern und Verwandten in Michnitz auf, bis sie älter wurde und zur Stiefmutter ziehen durfte, oder besser gesagt musste. 
Der Vater verstarb nach einem Unfall bei der Bahn in Freistadt, wohin die Familie schon bald von Budweis aus gezogen war.  Zu dem Zeitpunkt war sie gerade 15 Jahre alt. Der Vater soll Bahnhofsvorstand gewesen sein. Sicherlich nicht besonders wohlhabend blieben die 3 nun alleine zurück.
Zeitlebens fühlte sich meine Tante dem Bruder gegenüber zurückgesetzt, darüber wurde sogar gestritten, da keiner die Einsicht hatte, dass die Kinder für so eine Ungleichbehandlung ja nicht verantwortlich zu machen sind.
Verliebt in Lothar, dem späteren ersten Mann gingen ihre einzigen gemeinsamen Urlaubstage zurück zu den Wurzeln, dem Hauptplatz in Budweis. Kurz nach der Hochzeit verloren sich Lothars Spuren dann in den Kämpfen des 2. Weltkrieges irgendwo in den Weiten Russland.
Eine heitere Familiengeschichte ist das wahrlich nicht.


herausgeputzter, in Gold glänzender Gang im Hotel Svon

Bilder aus alten Zeiten

ob hier der rasende Kinderwagen unterwegs war?

Brunnen und Schwarzer Turm

Stadtansichten

Ich werde fusslahm und missmutig wegen der vielen Autos. Ein gutes Essen muss her!
Im Restaurant des Nobelhotels Svon freue ich mich leider zu früh auf meinen Tafelspitz.


Tafelspitz soll das sein

Mir werden ein paar lauwarme Scheiben Serviettenknödel, in einer dicken pampigen süßen Soße schwimmend,serviert. Gerade noch ohne Lupe finde ich die paar Ministückchen Fleisch. Statt Kren ziert das ganze ein Klacks Schlagobers.
Dieses Essen ist total durchgefallen, es gibt keinen einzigen Stern für das Restaurant vom Svon, höchsten Minuspunkte. Schade!
Da ich in unter den Arkaden und nicht im dunklen Restaurant sitze, muss ich auf einmal meine Tasche samt Handy gut festhalten. Ich bemerke eine freundlich lächelnde Gestalt, die schon zum dritten Mal an mir vorüber schleicht. Da endlich fällt mir die Warnung vor reisenden Dieben ein, die sich hier tummeln sollen. Das hätte mir zu guter Letzt noch gefehlt!

Ein bißchen erholt gehe ich nun noch einmal in die Mitte des Platzes.


der barocke Samsonbrunnen

Der Samsonbrunnen soll mit 17 Metern Durchmesser der größte Steinbrunnen in der Tschechoslowakei sein und stammt aus des Anfang des 18. Jahrhunderts.


Spiele im Licht

eine weitere der unzähligen Perspektiven

Blick zurück

Abschied

Ich bin genug herumgerannt. Meine Erwartungen an die Stadt waren sehr hoch, und einige sind enttäuscht worden. Wahrscheinlich wegen der guten Erinnerungen an die einzige gemeinsame Tour mit meiner Tante, bei der ich etwas über die familiäre Vergangenheit erfahren habe.
Mein Vater selbst hat leider dazu nicht beigetragen, wozu er sicher in der Lage gewesen wäre. Er hatte schließlich lange Jahre noch Kontakt zu mindestens einem Cousin, der mit 95 noch als Autofahrer die Strassen von Linz unsicher machte, ungewöhnlich weite Reisen gemacht hat für diese Generation und sich auch mit über 90 noch seiner angeblichen Geliebten rühmte.
Ich habe meine Reisepläne für diese Tour tatsächlich alle geschafft. Morgen kann ich doch recht zufrieden nach Hause fahren.